Evangelikale Evolutionskritik und Evolutionsbiologie sind wechselseitig nicht dialogfähig

Vorbemerkung: Den Begriff „dialogfähig“ habe ich dem Buch „Darwin, Einstein – und Jesus“ von Georg Baudler (Patmos, Düsseldorf 2009) entlehnt. Baudler spricht im Vorwort seines Buches davon, daß er den christlichen Glauben „auf das von gesicherten Ergebnissen der neueren Naturwissenschaft vorgegebene Weltbild hin gesprächsfähig“ machen möchte. Er kann dabei als Religionspädagoge auf eine jahrzehntelange Berufserfahrung zurückblicken und geht auch von einem vollkommen anderen Verständnis des „christlichen Glaubens“ aus, als er uns in der evangelikalen Szene begegnet.

These: Meine Kernthese lautet, daß die evangelikale Evolutionskritik und die Evolutionsbiologie, also die naturwissenschaftliche Beschäftigung mit der Evolution, nicht in ein fruchtbares Gespräch miteinander treten können, da sie von diametral verschiedenen Grundprämissen ausgehen und wechselseitig nicht bereit (bzw. fähig) sind, unter Wahrung des jeweils eigenen Charakters von diesen Prämissen abzuweichen.

Die jeweiligen Grundprämissen

Um die oben aufgeführte These auf eine Grundlage zu stellen, möchte ich zunächst knapp die jeweiligen Grundprämissen der beiden genannten Positionen aufführen. Das geschieht sicherlich in einer zumindest teilweise subjektiven Sicht. Allerdings stütze ich mich an beiden Stellen auf die persönliche Beschäftigung mit der Materie sowie eigene Erfahrungen.

Evolutionskritik: Evangelikales Schrift- und Selbstverständnis

Naturwissenschaft: Objektivität, kritischer Rationalismus, Naturalismus

Anspruch und Reichweite

Nicht nur hinsichtlich ihrer Grundprämissen unterscheiden sich die evangelikale Weltsicht (und damit ihre Evolutionskritik) und die Naturwissenschaften, auch die Reichweite ihrer Aussagen und ihr Selbstanspruch ist dramatisch verschieden.

Evangelikale Weltsicht

Naturwissenschaft

Wechselseitige Mißverständnisse und Mißkonzeptionen

Es gibt sowohl von evangelikaler Seite aus grundlegende Mißverständnisse hinsichtlich des Wesens der Naturwissenschaften, als auch von Seiten einiger Naturwissenschaftler (berechtigte) Schwierigkeiten und daraus folgende Mißkonzeptionen bezüglich des (christlichen) Glaubens. Trotzdem ist, auch nach Ausräumung dieser wechselseitigen Mißverständnisse der jeweils anderen Seite – soweit das überhaupt von beiden Seiten aus möglich ist – ein Dialog nicht möglich.5)

Evangelikale Weltsicht

Naturwissenschaft

Was bleibt: Der Kern der Dialogunfähigkeit

Dadurch, daß sich die evangelikale Weltsicht mit ihrem Alleinvertretungs- und universellen Geltungsanspruch zur Autorität aufschwingt, die den Naturwissenschaften vorschreiben kann, welche Bereiche sie behandeln dürfen und welche nicht (bzw. wie sie sie zu behandeln haben), und andererseits (hauptsächlich über die „Intelligent Design“-Bewegung) eine Neudefinition des Begriffes „Naturwissenschaft“ anstrebt, der explizit göttliche Intervention als Erklärungsprinzip zuläßt, stellt sie sich außerhalb jeglichen Diskussionsrahmens mit den Naturwissenschaften. So verwundert es nicht, daß sie seitens der Naturwissenschaften nicht ernstgenommen und allenfalls als störend empfunden wird.

Weiterhin kommt erschwerend hinzu, daß evangelikale Vertreter der hier thematisierten Fundamentalkritik an der Evolution in der wissenschaftlichen Position zur Evolution einen Angriff auf ihr Glaubensfundament sehen7) und dadurch fast unvermeidlich jeder Versuch einer fachlichen Diskussion letztlich scheitert.

Das soll niemanden davon abhalten, derlei Gespräche zu führen. Der Autor tut das selbst zuweilen. Andererseits entspringen diese Ausführungen direkt seinem persönlichen Erleben der letzten Jahre. Vielleicht bewahrt es vor mancher Enttäuschung, wenn man sich von Anbeginn an über die grundsätzliche Unvereinbarkeit der Positionen bis hin zur Dialogunfähigkeit im Klaren ist.

1)
Das bedeutet aber nicht, daß wir jede wissenschaftliche Tatsache mit unseren Sinnen wahrnehmen können, sondern sogar in den allermeisten Fällen lediglich deren mehr oder weniger indirekte Auswirkungen. Beispiel: Gravitation können wir nicht wahrnehmen, wohl aber ihre zahlreichen Folgen.
2)
Der Naturwissenschaft ist ein philosophisches bzw. insbesondere religiöses Wahrheitskonzept (im Sinne unumstößlicher Wahrheiten) unbekannt.
3)
Vorausgesetzt, diese Kritik und Diskussion wird auf einer entsprechend wissenschaftlichen Ebene vorgebracht. Eine Fundamentalkritik an den Strukturen der Wissenschaft selbst, die meist auf Glaubenspositionen beruht, wird verständlicherweise im Ansatz abgelehnt. Allerdings ist grundsätzlich eine fachliche Diskussion auch trotz grundlegend divergierender Weltanschauungen möglich, wenn sich beide Seiten auf die fachlichen Aspekte beschränken.
4)
Diese Tatsache entbindet den Naturwissenschaftler als Teil einer intellektuellen (und damit gesellschaftlichen) Elite nicht von der Verantwortung, die Erkenntnisse der Naturwissenschaften unter ethischen Gesichtspunkten zu betrachten und gegebenenfalls für sich selbst daraus Handlungsmaximen abzuleiten bzw. als Fachmann mit entsprechendem Wissen gesellschaftliche Diskurse darüber anzustoßen.
5)
Hier sei noch einmal angemerkt: Es geht um den Dialog zwischen einer evangelikalen Weltsicht, die auf einem „wörtlichen“ Verständnis der Bibel und entsprechender Interpretation ihrer Aussagen gründet, und den Naturwissenschaften, nicht um den Dialog zwischen christlichem Glauben als solchem und den Wissenschaften. Letzterer findet statt und ist möglich, wird hier aber explizit nicht thematisiert.
6)
Darüber hinaus ist aus wissenschaftstheoretischen Aspekten heraus eine Einschränkung der Naturwissenschaften auf eine „empirische Basis“ quasi nicht möglich, da diese empirisch-objektive Grundlage eine Illusion, aber keine ernsthafte Grundlage für die Wissenschaften ist.
7)
Gemeint ist damit die von diesen Menschen vertretene Interpretation der Bibel, gründend auf einem „wörtlichen“ Verständnis dieses Buches. Zur Problematik dieser Position vgl. den Essay "Das, was gesagt ist" - Überlegungen zu den Grundlagen der Hermeneutik